PREDIGT zum Jahresschluß 1986


Vorbemerkungen:

Das Jahr 1986 war das Jahr, in dem u.a. der Atromreaktor in Tschernobyl explodierte. Zahlreiche weitere Katastrophen fanden in diesem Jahr statt, und so war es kein Wunder, daß sich dies auch in der Predigt wiederspiegelte. Ich denke aber, daß es auch dieses Jahr leider nicht an Katastrophen und Unfrieden mangelte, sodaß die Predigt nichts an Aktualität eingebüßt hat.


Schrifttext: Gen 11,1-9 (Der Turmbau zu Babel)

Am Ende eines Jahres hält man gerne Rückblick. So haben wir auch vorhin einen Rückblick gehalten, was unsere Gemeinde betrifft.

Wenn wir aber auf das vergangene Jahr zurückschauen, so fallen uns nicht nur die Ereignisse der Gemeinde ein. Es ist viel passiert in dem einen Jahr. Auf dem ersten Blick zurück fallen mir einige Ereignisse besonders ein:

Die Vereinigten Staaten von Amerika greifen Libyen an. Ich spüre überall Angst: Wie wird es weitergehen? Hoffentlich weitet sich dieser Konflikt nicht aus. Kinder fragen ängstlich in der Gruppenstunde: Gibt es jetzt Krieg?

Ein großes Pfingstlager für Kinder und Jugendliche war vorbereitet. Das erste Zeltlager in der Geschichte des neugegründeten Stammes der Pfadfinder der Gemeinde St. Andreas in Wiesbaden. Dann explodiert in der Sowjetunion ein Atomkraftwerk. Radioaktive Wolken verseuchen Westeuropa- Der Zeltplatz wird wegen Verstrahlung geschlossen. Überall ist Unsicherheit: Sind wir jetzt verstrahlt? Was kann man noch essen? Bei den Teilnehmern des geplanten Zeltlagers ist die Enttäuschung groß. Monatelang hatte man sich darauf gefreut.Für die meißten der Teilnehmer sollte es das erste Zeltlager ihres Lebens sein.

Im Oktober bin ich bei Freunden in der DDR. Thema des Tages: Das Gipfeltreffen der Regierungschefs von USA und Sowjetunion in Reykjawik. Große Hoffnungen auf ein Ergebnis auf allen Seiten. Am nächsten Morgen die Enttäuschung: Das "Neue Deutschland" und der westddeutsche Rundfunksender melden einhellig: Die Gespräche sind gescheitert. Keine greifbaren Ergebnisse. Wir sind enttäuscht und haben Angst: Geht die Rüstung jetzt ewig weiter? Wohin soll das führen; Zusammenbruch der Wirtschaft oder Krieg?

Und als wäre das Maß noch nicht voll, geht vor wenigen Wochen eine neue Katastrophenmeldung durch die Presse: Chemieunfall in der Schweiz. Der Rhein ist verseucht. Viele Orte sind vom Rheinwasser abhängig. In einigen Orten ist das Trinkwasser verseucht. Feuerwehr und Polizei verteilen sauberes Wasser an die Bevölkerung. Die bange Frage: Reichen die Vorräte, bis der Rhein wieder einigermaßen brauchbares Wasser führt? Die Meldungen über Schädigungen der Umwelt wollen nicht abreißen.

1986 ein Katastrophenjahr?

Auf dem ersten Blick sicherlich schon. An Katastrophen, von Menschen verursacht, hat es nicht gemangelt. Katastrophen von denen behauptet wurde, sie könnten nicht geschehen, fanden statt. Das sogenannte "Restrisiko" hat voll zugeschlagen.

Ein Satz aus einem Buch von ADAM SCHAFF, ein atheistischer Philosoph, kam mir bei alledern in den Sinn. ADAM SCHAFF schreibt da in etwa so:

"Und dann, wenn der Mensch in der Lage ist die Atome zu spalten und die Natur zu beherrschen, wenn er in der Lage ist, Leben künstlich herzustellen und das des Menschen künstlich zu verlängern, das ungeborene Leben somatisch und geistig zu beeinflussen, dann wird das menschliche Wesen die Stufen zum Thron des biblischen Gottes erklimmen und nach dessen Zepter langen!"

Ich stelle mir da die Frages Sind wir schon soweit? Greifen wir nach dem Zepter Gottes? Versuchen wir, ihn vom Thron zu stoßen?

Wer sich in der Bibel ein wenig auskennt, dem wird an dieser Stelle sicherlich der Erzählung vom Turmbau zu Babel in den Sinn kommen. Und genau deshalb habe ich diese Erzählung auch als Lesung für diesen Gottesdienst ausgewählt. Dieser Text ist weit über 2000 Jahre alt. Er gehört zu den ältesten Erzählungen des alten Testamentes, und doch scheint er mir so aktuell, wie nie zuvor.

Die Bibel erzählt, daß die Menschen versuchen, wie Gott zu sein. Sie wollen Gott gleich werden. Sie inaßen sich an, Dinge zu tun, die Gott allein zustehen. Sie wollen sich beweisen, daß sie so groß wie Gott seien. Gott läßt diese Anmaßung nicht zu. Das Werk, das die Menschen gemeinsam begannen, scheitert und sie verstehen einander nicht mehr.

Menschen wollen wie Gott sein.

Sie sagen: Es ist alles möglich und wir haben alles in der Hand. Sie spalten Atome, um unerschöpfliche Energien für die Zukunft zu haben. Mit der gleichen Atomspaltung kann das Leben dieser Welt ausgelöscht werden. Fehler treten auf: Ganz Europa ist radioaktiv verseucht. Das wird nie wieder vorkommen. Menschen wollen dafür garantieren. Sind sie denn unfehlbar?

Menschen wollen wie Gott sein.

Sie gestalten die Natur, wie sie es wollen. Sie benutzen sie für ihre Zwecke, so wie es ihnen sinnvoll und gewinnbringend erscheint. Es wird nicht alles bedacht. Wälder sterben, Flüsse und Seen sind verseucht. Man macht Versuche mit künstlicher Befruchtung, verseht die Gene zu verändern, Menschen zu schaffen nach dem Bild der Menschen. Sie sagen: Wir haben alles im Griff.

Menschen wollen wie Gott sein.

Aber, so möchte ich sie jetzt fragen. Sind denn nur die Regierungen und Bosse an diesen Katastrophen schuld? Ja natürlich, mögen Sie jetzt antworten, was haben wir damit zu tun? Wir sind doch die, die davon betroffen sind. Wir sind nur die Leidtragenden und können sowieso daran nichts ändern. Auf diesen gesellschaftlichen Hochmut haben wir nur wenig Einfluß - Wir sitzen ja nicht an den Schalthebeln der Macht. Aber die Mächtigen dieser Welt sind auch abhänig von der allgemeinen Grundeinstellung, von unserer Einstellung zu Natur, Zukunft, Mensch und Gott.

Sicher geht es auch darum, daß wir nicht mit der Natur machen können, was wir wollen, daß wir es nicht alleine sind, die wir unsere Zukunft gestalten können, wie wir es wollen. Sicher geht es auch darum, daß wir nicht ohne Rücksicht auf Natur, Menschenleben und ethische Werte mit allem und jedem experimentieren können. Aber bei der Erzählung vom Turmbau zu Babel geht es um mehr. Es ist ja nicht einfach eine alte Erzählung, sondern es ist Wort Gottes, Wort Gottes für uns!

Oft genug entdecke ich auch bei mir so eine Haltung, die mich sehr an den Turmbau zu Babel erinnert: Wenn ich mich maßlos ärgere, daß nicht alles so geklappt hat, wie ich es will, wie ich es geplant habe. Wenn ich glaube, daß ich alles erreichen kann, wenn ich nur die richtigen Methoden anwende und den richtigen Plan habe. Will ich dann nicht wie Gott sein?

Wenn ich über einen anderen Menschen urteile, wenn ich ihn verurteile, in eine Schublade stecke: Der ist ja sowieso einer von diesen oder jeden. Mit dem kann man sowieso nichts anfangen. Will ich dann nicht wie Gott sein?

Wenn ich Menschen, mit denen ich zusammen bin, verändern will, weil mir an ihnen was nicht paßt, wenn ich sie nach meinen Vorstellungen und Ideen "umerziehen" möchte. Will ich dann nicht wie Gott sein?

Wenn ich glaube, Gott nicht zu brauchen, weil ich auch alleine ganz gut klar komme. Wenn ich es nicht für nötig halte, auf das Wort Gottes zu hören. Will ich dann nicht wie Gott sein, stoße ich ihn dann nicht vom Thron?

Das Alte Testament erzählt es und das letzte Jahr hat es uns deutlich und schmerzhaft gezeigt: Es ist gefährlich, wenn Menschen Gott spielen. Gottes Weg mit uns ist anders. Nicht Herrschaft, sondern Dienen - Nicht Hochmut, sondern Demut - Nicht werden wie Gott, sondern Menschwerdung Gottes. Das ist die Botchaft von Weihnachten: Daß wir eben nicht wie Gott sein brauchen, daß wir nicht Götter werden müssen, weil Gott selbst Mensch geworden ist. Ein kluger Kopf hat einmal gesagt: Wenn die Menschen eines Tages den Thron Gottes erklimmen, werden sie festsellen, daß er leer ist, denn Gott ist Mensch geworden.

Ich denke, die Ereignisse des vergangenen Jahres sollten uns zum Nachdenken anregen. Es waren entsetzliche Katastrophen und es ist sicher Aufgabe der Christen alles dran zu setzen, daß sich derartiges nicht wiederholt. Es ist sicherlich Aufgabe der Christen, deutlich zu machen, daß wir nicht alles dürfen, was wir technisch und wissenschaftlich können.Wir sollten deutlich machen, daß es niemals richtig sein kann, Technologien anzuwenden, die in hohem Maße Menschenleben gefährden.

Wir sollten aber auch darüber nachdenken, wie es um unseren ganz privaten Turmbau zu Babel steht. Lassen wir Gott Gott sein? Geben wir uns und unsere Zukunft in seine Hand? Gott ist Mensch geworden, um uns eine Zukunft zu zeigen, die nicht dadurch ensteht, daß wir alles formen, wie wir es wollen, sondern dadurch, daß wir menschlich und in Liebe miteinander umgehen, wie es Gott uns in Jesus Christus erzählt und vorgelebt hat.

Gott ist zu uns gekommen und lädt uns ein in diese Zukunft, in sein Reich, in das Reich Gottes.

Davon spricht auch das heutige Evangelium, der Anfang des Evangeliums nach Johannes.


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